Schaeume
Ich breche mit dem Stuhl zusammen. Die gewebte Sitzfläche des Regiestuhls ist unter dem Eindruck meiner Rückseite einmal glatt durchgerissen. Er:
Das liegt nicht an dir.
Saskia - Sonntag, 22. Mai 2005
Sonntag habe ich meinen Bruder besucht - zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren. Es war ja Muttertag. Und es war auch sehr schön: Wir saßen am geöffneten Fenster, tranken Kaffee, aßen Kuchen und schauten dabei plaudernd über die frühlingsfette Landschaft aus Wiesen, Feldern und Baumschulen, abwechselnd beleuchtet von zaghaften Sonnenstrahlen und Schauerwolken; der einzige Lärm im Sonntagsnachmittagsidyll das lautstarke Liebesspiel munterer buntgefiederter Fasanenpärchen.
Und eben schon wieder - auf dem Weg zur Arbeit auf dem Rad durch die friedlichen Elbvororte wird mir das Herz weit: Die Frühlingssonne bahnt sich Wege durch die Wolkendecke, die jungen Triebe in den Villengärten sprießen in einer Farbe, die tatsächlich diesem surreal quietschenden Maigrün aus dem Pelikan-Tuschkasten nahe kommt, und anstelle von Autos höre ich nur verschiedene Vogelstimmen, die den Tag begrüßen, als wäre es Weihnachten, Ostern und ihr letzter zusammen.
Am Sonntag gab es dann auch wieder die Frage: Wo ist denn die neue Wohnung überhaupt? Nachdem dann endlich der Stadtplan aus den Gelben Seiten von vor drei Jahren ausgegraben war, enttäuschte Gesichter: Da ist ja gar nichts Grünes in der Nähe! Nur eine ganz dicke Straße und die Autobahn! Ich versuche abzuwiegeln: Ja, schon, aber dafür gleich Aldi und der Bus und die S-Bahn. Aber die zwei schauen auf ihre Fasanenspielwiese und sind nicht überzeugt.
Und vielleicht haben sie Recht. Das grüne Zeug fällt mir natürlich nicht jeden Tag auf. Aber wenn ich darüber nachdenke, stelle ich doch fest, dass Ruhe und Grün dafür sorgen, dass ich alles, worüber ich mir sonst Sorgen zu machen pflege, für eine Zeit vergesse und mich gegen den davon ausgehenden Optimismus nicht wehren kann. Gut, wenn man das morgens und abends einfach hat. Und nicht eben regelmäßig, aber manchmal mache ich doch davon Gebrauch, gleich aus dem Haus in den Park und an den Fluss joggen zu können.
Nun, wir werden sehen, ob ich jetzt einen grünen Daumen entwickel und den Balkon in einen Dschungel verwandeln muss, oder ob es nicht vielleicht doch viel schöner ist, sagen zu können "Guten Morgen, mein Freund" als "Mein Freund, der Baum"; ein schönes grünes T-Shirt hat er ja...
Saskia - Donnerstag, 12. Mai 2005
Ein denkwürdiges Gespräch am Freitag:
Er: "Was machst Du morgen früh?"
Ich: "Das gleiche wie jeden Samstag."
Er: "Du machst also zum drittletzten Mal deinen traditionellen Einkaufsrundgang."
Ich: "Ja, und eben Putzen und Waschen."
Er: "Ich hoffe, du putzt nicht zum drittletzten Mal..."
Ein eigentlich sehr sinn- und bedeutungsloses Stück vertrauter Kommunikation. Aber im Nachhinein frage ich mich, was das wohl über die zukünftige Rollenverteilung aussagen könnte. Textananlyse:
Es wird offensichtlich nicht von mir erwartet, dass ich weiterhin Samstagvormittag fest dafür einplane, alles in meine Behausung zu schleppen, was man für das leibliche Überleben in einer Woche ohne warme Mahlzeiten so braucht. Klingt plausibel, einkaufen kann er ja. Sogar warme Mahlzeiten kochen. Und er hat auch keine Probleme, täglich noch einmal loszulaufen, weil ihm eine bessere Idee gekommen ist, was man essen könnte. Gut.
Es wird offensichtlich schon erwartet, dass ich mir weiterhin die Zeit nehme, ein Minimum an Sauberkeit herzustellen: Flusen wegsaugen, abwaschen, Arbeits- und Sanitärflächen abwischen sowie Klo putzen. Klingt auch plausibel, denn ob er saubermachen kann, weiß ich wirklich nicht, wenn ich ehrlich bin. Ich weiß, dass er es mit vielen Flusen aushalten kann, dass er sich auch an Kalkrändern und Kakerlaken im Zweifel nicht stört, dass er Schuhcreme nur vom Hörensagen kennt und dass bisher mit Sicherheit seine Mama immer die Nerven verloren hat, bevor er das Badezimmer hätte putzen können. Nicht unbedingt gut.
Okay, unzulässig dramatisiert. Ich weiß schließlich auch, dass er seine Wäsche macht, sich selbst sauber hält und eine Schwäche für den General Bergfrühling hat. Aber ich denke, das Thema Sauberkeit könnte sich trotzdem zu einem Dauerschaumschläger entwickeln. Mal sehen, was das für Blasen schlägt...
Saskia - Sonntag, 8. Mai 2005
Kennt ihr dieses reizende Bild mit der großen grünen Uhr und den buntgefiederten Piepmätzen, die alle zu anderen Zeiten den Morgen mit ihren Gesängen begrüßen? Es ist allerliebst.
Was dieses Bild nicht zeigt: Wenn das Rotkehlchen über die aufgehende Sonne jubiliert, versucht der Zaunkönig noch, sich vom gestrigen Abend zu erholen, der mal wieder länger gedauert hat. Ihr müsst jetzt nicht nur den Zaunkönig bemitleiden, denn das Rotkehlchen ist auch nicht glücklich ganz allein mit seiner Freude über den neuen Tag und seinem morgendlichen Unternehmungsdrang.
Diese Vogeluhr ist wohl unverrückbar. Ich nehme an, in der Natur lösen die Tiere das Problem, indem sie ihre Reviere voneinander trennen. Aber wir sind ja keine Vögel. Und so werden wir versuchen müssen, dem Thema mit Vernunft zu begegnen, d.h. im Klartext: Kaffee kochen, ruhig verhalten und eine Stunde abwarten, auch wenn's schwerfällt. Dafür singt er später dann umso schöner.
Saskia - Sonntag, 1. Mai 2005
Lieb, dass ihr alle beim Umzug helfen wollt ;-)
Wann es losgeht, ist allerdings mal wieder offen. Die Träume, an diesem Wochenende bereits mit dem Streichen zu beginnen, wurden von der habgierigen Vormieterin zerschlagen, die uns doch nicht für lau früher einziehen lassen wollte. Dafür waren wir in der Sonne - und wer braucht schon einen Südbalkon, wenn er die Elbe vor der Tür hat.
An der anderen Front habe ich langsam die Vorteile meiner alten Wohnung so gebetsmühlenartig immer wieder aufgesagt, dass ich mich selbst davon überzeugt habe, dass ich viel aufgebe dort. Aber noch immer frohen Mutes! Dank eigener Überzeugung habe ich nun einen Schwarm von Leuten, die zum 1.6. oder noch früher dort einziehen wollen. Wenn jetzt noch die Verwaltung schnell funktioniert, dann gibt das gegen Pfingsten oder die Woche darauf einen Gewaltakt mit Möbetransporten zwischen vier Standorten und Renovierungsarbeiten an zwei Wohnungen...
Es entwickelt sich ein Krimi... (ich hoffe, kein Horror)
Saskia - Sonntag, 1. Mai 2005
Ein heikles Thema. Die erste Begegnung dieser Art gab es gestern: Als ich die weißhaarige kleine Dame ansprach, fing sie erst einmal an zu zittern. Aber dann haben wir uns ein wenig unterhalten und ganz viel gelächelt und am Ende sind wir wohl schon weiter, als unsere Vormieterin je war: Das Urgestein des Hauses kennt uns. Und zittern tut sie auch nicht mehr.
Saskia - Freitag, 29. April 2005
Wunderbares Gespräch über Eigenheiten auch - oder auch gerade - Geliebter:
- "Warum kann er nicht die Dusche abspülen, nachdem er sie mit seinen widerlichen Haaren eingesudelt hat?"
- "Warum kann sie nicht Messer und Gabel in getrennte Besteckkästchen der Spülmaschine stecken, damit man sie später schnell in die Schublade räumen kann?"
- "Ich ertrage es nicht, wenn er die Wäsche falsch aufhängt."
- "Warum um alles in der Welt hängt der Haussegen schief, wenn die Becher in einer neuen Ordnung im Schrank stehen?"
Einhelliges Fazit: Je früher man sich an die Eigenheiten des anderen gewöhnt, desto einfacher. Mit Mitte 30 ist alles zu spät...
Saskia - Dienstag, 19. April 2005
Sag mal, Dirk, ziehst Du eigentlich bei deinen Eltern aus und bei deiner Mutter ein?!
Ich erörterte gerade, dass dieser neue Schnupfen meines Geliebten durchaus vermeidbar gewesen wäre, wenn er auf mich gehört und einen Schal umgebunden hätte... Oder ging es um das "Bitte füttern"-Schild?
Saskia - Sonntag, 17. April 2005
Und man hat ja so seine Befürchtungen, wie es werden könnte:
- anderer Leute Dreck wegräumen müssen,
- sich über das Fernsehprogramm streiten,
- eines Tages nicht mehr zu lächeln, wenn man sich sieht,
- am Ende des Tages nicht in Frieden die totale Endzeitstimmung verbreiten dürfen,
- feststellen, dass die Schokoschublade leer ist, wenn man sie am meisten braucht,
- Schuldzuweisungen, wenn plötzlich kein Papier mehr da ist,
- ganz neue Seiten am anderen kennenlernen,
- to be definitely continued...
Saskia - Samstag, 16. April 2005